Ein Abend im Speicher
Die alte Fachwerkfassade in der Waagegasse 2 war bereits in Dämmerung getaucht, als Lina die schwere Holztür aufschob. Innen empfing sie das warme Licht eines rustikalen Raumes: Holzbalken spannten sich über ihr, eine Bierkisten-Theke thronte am Ende, und an der Wand hing ein Chalkboard mit handgeschriebenen Getränken. Der Ort war mehr als nur eine Bar – er war ein Wohnzimmer, eine Bühne, ein Kunstraum zugleich.
Lina ließ sich in eine Ecke fallen, nur Kerzenlicht und ein leiser Jazz im Hintergrund. Draußen im Hinterhofgarten standen Pflanzkübel und Sonnenschirme, und sie konnte das Gelächter von Gästen hören, die langsam eintrafen. Ein Platz zum Verweilen, zum Zuhören, zum Austausch.
Sie bestellte einen „Gin Mule Spicy“, der auf der Tafel für 7,50 € angekündigt war. Der Barkeeper goss gekonnt über Eis, der Zitrusduft stieg auf, und Lina sog den Moment ein. In diesem Raum fühlte sie sich angekommen. Nicht nur als Gast – sondern als Teil der Kulisse.
An der Wand schwebte ein Neon-„BAR“-Schild, das über eine kleine Bühne hinwegblickte. Ein kleines weißes Klavier war dort positioniert, bereit für das nächste Konzert oder die nächste Lesung. Der Speicher war Bühne und Galerie; er zeigte lebendige Kultur, nicht verstaubte Kunst.
Während sie ihr Getränk probierte, kam eine Gruppe junger Musiker herein, eine Gitarre, ein Kontrabass im Schlepptau. Sie richteten sich ein, ein Lichtstrahl fiel auf das Klavier, und der Barkeeper gab ihnen ein Zeichen. Der Klang begann – eine sanfte Melodie, die sich durch den Raum schlängelte. Lina schloss die Augen und ließ sich tragen.
Als das Lied endete, klatschten die Gäste begeistert. Gespräche entflammten spontan: Der Sitznachbar erzählte von einer aktuellen Kunstausstellung im Obergeschoss – der Speicher bot auch wechselnde Ausstellungen. Lina lächelte: Eine Bar, die sich nicht nur über Getränke definierte, sondern über Begegnung, über Kunst, über Gemeinschaft.
Draußen war inzwischen Nacht. Im Hinterhof flackerten Lichterketten, und die Stimmen wurden weicher. Lina stellte ihr Glas ab, stand auf und trat hinaus. Kühle Luft umhüllte sie, und sie atmete tief. In der Altstadt von Erfurt hatte sie etwas Besonderes gefunden – einen Ort, der rustikalen Charme mit kreativer Freiheit verband.
Sie ging noch einmal zur Theke, bestellte ein Stück Kuchen und einen Filterkaffee zum Ausklang. Der Tresen wurde von Bierkisten getragen – eine kleine Ironie, die den Charakter dieses Hauses unterstrich: leger, echt, ein bisschen unkonventionell.
Als sie schließlich ging, war ihr Glas leer, ihr Herz leicht. Der Speicher war mehr als eine Bar gewesen. Er war ein Moment. Ein Raum der Begegnung. Ein Zuhause für Stunden. Und Lina wusste: Sie würde wiederkommen.