Zäpfle für die Liebe

Es war ein später Sommerabend im Biergarten des Speichers Erfurt. Die Lichterketten glühten wie kleine Sterne über den Holztischen, und irgendwo klimperte leise ein Jazz-Trio auf der kleinen Bühne. Der Duft von Limette und Hopfen lag in der Luft, gemischt mit der unverwechselbaren Note eines frisch gezapften Tannenzäpfle.

Jonas saß allein an einem Tisch, das erste Zäpfle halb geleert, der Schaum langsam verflogen. Er war gerade dabei, den Schaumrand gedankenverloren mit dem Finger nachzuziehen, als sie kam.

Sie — mit einem roten Kleid, einem Lächeln, das heller strahlte als die Lichterketten, und einer leicht zerzausten Strähne, die ihr ins Gesicht fiel.

„Ist hier noch frei?“ fragte sie.

„Klar,“ sagte er, vielleicht ein bisschen zu schnell. „Ich teile gern mein Biergarten-Imperium.“

Sie lachte. „Dann bist du also König des Speichers?“

„Nur Regent über Tisch 7 und zwei halbleere Bierdeckel.“

Sie bestellte ebenfalls ein Tannenzäpfle. Als der Kellner kam, prosteten sie sich an.

„Auf die Monarchie der kleinen Leute,“ sagte sie.

„Und auf gute Schaumkronen,“ ergänzte er.

Das erste Bier brachte sie zum Reden, das zweite zum Lachen.

Sie hieß Nora, war eigentlich nur auf der Durchreise – ein spontaner Halt in Erfurt, eigentlich nur wegen der Bar, die ihr jemand empfohlen hatte.

Er war Jonas, Grafikdesigner mit einem Talent, Dinge zu beginnen und nie zu beenden. Zum Beispiel Gespräche mit hübschen Fremden.

„Ich sag’s dir ehrlich,“ meinte er irgendwann, „das Tannenzäpfle ist das unterschätzteste Bier Deutschlands. Es hat Charakter – spritzig, ehrlich, leicht bitter. Wie das Leben.“

„Oder wie du?“ grinste Nora.

„Eher wie du,“ sagte er – und wunderte sich, wie leicht ihm das über die Lippen ging.

Zwischen ihren Gläsern funkelte das Kerzenlicht, während im Hintergrund ein Saxofonspieler eine verträumte Melodie spielte. Irgendwann fiel ein Glas um – ihres, natürlich – und eine Welle Zäpfle ergoss sich über den Tisch.

„Katastrophe!“ rief Jonas.

„Rettungsaktion!“ lachte sie, griff nach Servietten.

„Wir sollten uns beim Brauhaus beschweren,“ sagte er, „Bier zu schön zum Verschütten.“

„Oder einfach noch eins bestellen,“ schlug sie vor.

Er nickte. „Romantisch und praktisch – gefährliche Kombination.“

Das dritte Zäpfle kam. Die Nacht war mild, und das Gespräch lief, als hätten sie sich schon ewig gekannt.

„Wenn ich morgen weiterfahre,“ sagte sie, „wirst du mich vergessen?“

„Kommt drauf an,“ meinte er. „Vergisst man das erste Mal, dass jemand einem Bier über die Hand kippt?“

Sie lächelte und tippte mit dem Flaschenhals leicht gegen seine.

„Dann trink drauf, König Jonas. Auf das Zäpfle des Schicksals.“

Er hob die Flasche, sah in ihre Augen, und für einen Moment war alles still – nur das Zirpen der Grillen und das sanfte Gluckern der Flasche, als er trank.

Am Ende des Abends blieben zwei leere Flaschen auf Tisch 7 zurück, und auf einer Serviette stand:

„Fahr morgen um zehn. Wenn du das nicht vergisst – vielleicht sehen wir uns wieder.“

Daneben: ein kleiner Fleck Zäpfle und ein Herz aus Bierschaum.

Er lächelte.

„Vielleicht,“ flüsterte er, „vielleicht nicht. Aber das war das beste Bier meines Lebens.“

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Ein Abend im Speicher